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Inklusive Schule

Im Bereich Schule sind die saarländischen Lehrkräfte aufgrund der vielfältigen Erfahrungen mit schulischer Integration seit langem auf einem guten Weg. Die Arbeit an inklusiven Schulen stellt hohe Ansprüche an die Professionalität aller. Sie ist aber nichts anderes, als was an allen Schulformen bereits seit vielen Jahren in der täglichen Arbeit geleistet wird.

In einer inklusiven Schule spielt die multiprofessionelle Zusammenarbeit eine große Rolle. Die gegenseitige Unterstützung und auch die Vernetzung aller Professionen dient der gemeinsamen Planung und Durchführung von gutem Unterricht und bestmöglicher ganzheitlicher Unterstützung aller Schüler:innen. Alle Beteiligten übernehmen Verantwortung und leisten ihren Beitrag zur Schulentwicklung und zum Schulleben.

Im inklusiven Unterricht lernen Kinder und Jugendliche mit den unterschiedlichsten Lernausgangslagen. Zur Lehrerarbeit in diesem Unterricht gehört es, kontinuierlich über die Lernprozesse der Angehörigen der heterogenen Lerngruppen informiert zu sein, um immer wieder angemessene pädagogisch didaktische Angebote bereitstellen zu können. Im Begriff der didaktischen Diagnostik kommt zum Ausdruck, dass eine in die alltägliche Lehrerarbeit eingelassene, auf der fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und pädagogisch professionellen Expertise der Lehrpersonen beruhende Aufmerksamkeit im Sinne des formativen Assessment Bestandteil des inklusiven Unterrichts ist. (Prengel, A. (2014): Didaktische Diagnostik als Element alltäglicher Lehrerarbeit - „Formatives Assessment“ im inklusiven Unterricht, S. 1)

Folgende Merkmale müssen erfüllt sein, um von inklusiver Schule zu sprechen, wie Annedore Prengel in ihrer Studie für den Grundschulverband (2013) belegt:

  1. Alle Kinder und Jugendlichen besuchen während der Jahre ihrer Grundbildung eine gemeinsame – in der Regel wohnortnahe – Schule.
  2. Die Kinder werden durch Regel- und Förderschullehrkräfte sowie andere pädagogische Fachkräfte in multiprofessionellen Teams unterrichtet, erzogen, gefördert und betreut.
  3. In den Klassen wird eine Didaktik der individualisierenden, auf allen Leistungsniveaus leistungssteigernden, Binnendifferenzierung praktiziert.
  4. Jedes Kind wird in alltäglichen Interaktionen, sowie im Klassen- und Schulleben in einem ausreichenden Maß respektiert, so dass die Mitgliedschaft aller Kinder verlässlich sichtbar kultiviert wird, dass eine demokratische Sozialisation realisiert wird und dass jedes Kind eine Halt gebende Bezugsperson hat.

Mehrere Autor:innen führen inzwischen Bausteine für inklusive Schulen auf. Sie unterscheiden sich in den Begrifflichkeiten, sind aber inhaltlich meist ähnlich. Exemplarisch können hier die 10 Bausteine einer inklusiven Schule von Kersten Reich genannt werden:

  • Beziehungen und Teams
  • Demokratische und chancengerechte Schule
  • Qualifizierende Schule
  • Ganztag mit Rhythmisierung
  • Förderliche Lernumgebung
  • Lernende mit Förderbedarf
  • Differenzierung und Beurteilung
  • Geeignete Schularchitektur
  • Schule in der Lebenswelt
  • Beratung, Supervision und Evaluation

(Reich, K. (2014): Inklusive Didaktik - Bausteine für eine Inklusive Schule)

Inklusive Schulen entwickeln sich nicht von selbst. Die Schule muss sich auf den Weg machen und ein eigenes, standortbezogenes Schulprofil entwickeln. Drei Entwicklungsbereiche der Schulentwicklung sollen in den Blick genommen werden (Personalentwicklung / Unterrichtsentwicklung / Organisationsentwicklung). Informationen darüber, welche Unterstützungsmöglichkeiten bei der Schulentwicklung zur Verfügung stehen, erhalten Sie über die Lehrerfortbildungsinstitute LPM und ILF im Saarland.

Diagnostik und Förderplanung

Diagnostik beinhaltet eine differenzierte Eingangs-und Prozessdiagnostik sowohl von Lerngruppen als auch jedes einzelnen Kindes. Dies wird abgesichert durch eine multiprofessionell gestaltete Förderplanung, die besonderen Begabungen wie auch besonderen Unterstützungsbedarfen gerecht wird.

Sie beginnt vor der Einschulung im Rahmen des „Kooperationsjahres Kindergarten-Grundschule“, ist wichtiger Bestandteil des Einschulungsverfahrens und bei jedem Schulwechsel. Diagnostik in der Schule umfasst die Kind-Umfeld-Analyse, die Lernprozesse, das Erkennen veränderbarer Bedingungen in den Lernsituationen sowie motivierende Unterstützungsmaßnahmen bis hin zum eigenverantwortlichen Lernen. Sie ist der Ausgangspunkt für Differenzierung und Individualisierung im Unterricht. Auf ihr aufbauend können die Lehrkräfte differenzierte Aufgaben im Unterricht stellen und somit Stärken fördern und adäquate Lernhilfen geben. Die Anerkennung der Heterogenität ist die Basis, Schüler:innen in ihrer Entwicklung zu fördern und zu fordern. Dabei unterstützt der Unterricht die Entwicklung ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten, indem er sie darin fördert, Vertrauen in sich selbst zu entwickeln, um dadurch ein selbstbestimmtes Lernen zu ermöglichen.

Prinzip aller schulischen Arbeit ist die Förderung des einzelnen Kindes im gemeinsamen Verbund. Dies setzt einen Unterricht voraus, der sowohl individualisiertes als auch gemeinsames Lernen in der Lerngruppe ermöglicht. Die individuelle Förderung ist in den Gesamtzusammenhang schulischer Lernförderung zu stellen. Die Schule ist daher gefordert, unter Ausschöpfen aller innerschulischen Ressourcen und Maßnahmen, die Schüler:innen unter Berücksichtigung der individuellen Ausgangslage so zu fördern, dass ein hohes Maß an aktiver Teilhabe am gemeinsamen Lernen verwirklicht wird. Dies erfordert einen qualitätsvollen Unterricht, der didaktisch und methodisch auf die individuellen Bedürfnisse eingeht, passende Lernangebote anbietet und Hindernisse abbaut.

Ergeben sich bei einem Kind im Zusammenhang mit der Einschulung oder im Laufe der Schulzeit Anzeichen für die Notwendigkeit einer besonderen pädagogischen Förderung, so beraten alle an der schulischen Förderung Beteiligten über die notwendigen Maßnahmen zur Unterstützung. Das Ergebnis sollte in einem Förderplan, der regelmäßig angepasst wird, festgehalten werden. Der Förderplan ist somit kein einmaliges Produkt, sondern ist die Voraussetzung für eine gelingende Förderung und verändert sich im Förderprozess.

Inhalte und Ziele des Förderplans sollten mit dem beteiligten Kind und den Erziehungsberechtigten besprochen werden. Er stellt die Grundlage für den Austausch zwischen allen Beteiligten dar. Weitere Fachleute können beratend einbezogen werden. Die Schule hat die Möglichkeit, jederzeit eine Unterstützungsanfrage an eine Förderschule oder ein Förderzentrum zu stellen.

Wenn für ein Kind aufgrund einer komplexen Schwerst- oder Mehrfachbehinderung umfängliche Maßnahmen im Bereich der angemessenen Vorkehrungen und individuellen Unterstützung in der Regelschule erforderlich sind, sollte die Schulaufsichtsbehörde einbezogen werden. Im Rahmen der Förderplanung muss auch rechtzeitig daran gedacht werden, andere Sachkostenträger mit einzubinden.

Auch bei Kindern mit besonderen Begabungen ist eine frühe Förderung sowie eine rechtzeitig einsetzende pädagogische Begleitung von großer Bedeutung, um anhaltende Unterforderung und entsprechende Fehlentwicklungen zu vermeiden. Die Beratungsstelle Begabungsförderung bietet Lehrkräften und Schulen Unterstützung bei der Auswahl geeigneter Lernmaterialien. Schulen können zudem passgenaue Fortbildungsangebote in Rücksprache mit der Beratungsstelle abrufen oder Unterstützung in Einzelfallberatungen anfragen.

Im Förderplan sind alle Informationen enthalten, die für die Umsetzung der individuellen Förderung notwendig sind. Für die Dokumentation ist keine einheitliche Form vorgeschrieben.

Nachteilsausgleich

Der Nachteilsausgleich dient dazu, im Sinne der Chancengleichheit Benachteiligungen aufgrund von Beeinträchtigungen oder Behinderungen auszugleichen oder zu verringern und betroffenen Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, ihre Leistungsfähigkeit auszuschöpfen und ihre Kompetenzen nachzuweisen.

Durch Maßnahmen des Nachteilsausgleichs werden Bedingungen geschaffen, die den Zugang zur Aufgabenstellung und die Möglichkeit ihrer Bearbeitung gewährleisten, ohne dass dabei die inhaltlich-fachlichen Leistungsanforderungen des jeweiligen Bildungsganges geringer bemessen werden. Eine Leistung, die mit Maßnahmen eines Nachteilsausgleichs erbracht worden ist, stellt daher immer eine gleichwertige Leistung dar. Die Anwendung und Nutzung von Formen des Nachteilsausgleichs sind wesentliche Bestandteile eines inklusiven Unterrichts während der gesamten Schullaufbahn und daher Aufgabe und integraler Bestandteil der Unterrichtsarbeit an allen Schulformen und in allen Klassenstufen, unabhängig davon, ob Eltern einen Nachteilsausgleich beantragen.

Maßnahmen des Nachteilsausgleichs sind immer auf einzelne Schüler:innen bezogen und nur in besonderen Ausnahmefällen gerechtfertigt. Sie können gewährt werden

  • bei Behinderungen bzw. erheblichen Beeinträchtigungen in der Sprache, der Sinneswahrnehmung, der körperlich-motorischen oder emotional-sozialen Entwicklung
  • bei Teilleistungsstörungen wie Lese-Rechtschreib-und Rechenschwäche bzw.-störung
  • bei chronischen, langfristigen oder temporären physischen oder psychischen Erkrankungen oder Funktionsbeeinträchtigungen
  • bei sonstigen umfänglichen physisch-psychischen und sozialen Belastungen (z. B. Schwangerschaft)

Die Gewährung eines Nachteilsausgleichs erfolgt nicht automatisch aufgrund eines ärztlichen Attests oder einer bestimmten medizinischen, therapeutischen oder pädagogischen Diagnose. Ob und in welcher Form ein Kind Anspruch auf Nachteilsausgleich hat, ist stets im Einzelfall zu überprüfen und zu entscheiden. Dabei können neben Gutachten und Förderplänen der Schule auch außerschulische Stellungnahmen oder Gutachten einbezogen werden. Ansprechpartner:innen sind die Lehrer:innen der besuchten Schule.

Im Rahmen des Nachteilsausgleichs können die Bedingungen für mündliche, schriftliche oder praktische Leistungsfeststellungen der jeweiligen Beeinträchtigung angepasst werden, ohne dass damit das fachliche Anforderungsniveau reduziert wird. Möglich sind beispielsweise:

  • verlängerte Bearbeitungszeit und zusätzliche Pausen
  • separater Prüfungsraum und besondere Arbeitsplatzorganisation
  • Verwendung technischer Hilfsmittel
  • Verwendung bestimmter didaktischer Hilfs-oder Arbeitsmittel
  • zusätzliche personelle Unterstützung
  • angepasste Präsentation von Aufgaben und Ergebnissen
  • modifizierte Aufgabenstellung bei gleichwertigem Anspruchsniveau
  • Sondertermine oder Verteilung von Prüfungsterminen über einen größeren Zeitraum.

Die Festlegungen zum Nachteilsausgleich sind für den vereinbarten Zeitraum verbindlich und müssen von allen Lehrkräften berücksichtigt werden. Hinweise auf einen gewährten Nachteilsausgleich werden nicht in Zeugnissen und Bewertungen von schriftlichen Arbeiten kenntlich gemacht.

Unterrichtsmaterial

Unterrichtsmaterialien müssen allen Schüler:innen die Möglichkeit eröffnen, im eigenen Rhythmus und nach eigenem Lernvermögen im Lernprozess voranzuschreiten. Grundsätzlich unterscheiden sich die Materialien, die im inklusiven Unterricht eingesetzt werden, nicht von den in saarländischen Schulen bereits eingeführten Materialien, welche individualisierten Unterricht und Differenzierung ermöglichen. Die Entscheidung für besondere pädagogische Hilfsmittel, die einzelne Kinder aufgrund ihres Unterstützungsbedarfs benötigen, ist einer der Bereiche, in dem die multiprofessionell verantwortete Förderplanung zum Tragen kommt.

Alle Lehrmittelverlage haben inzwischen ihr Angebot entsprechend der Bedarfe inklusiven Unterrichts angepasst.

Unterrichtspraxis

Die Unterrichtspraxis eines inklusiven Bildungssystems zielt in allen Schulformen darauf ab, gemeinsam zu lernen und zu handeln. Dabei steht die Individualität jedes Kindes im Mittelpunkt. Die Persönlichkeit und das Selbstbewusstsein sollen gestärkt werden.

Der Unterricht soll allen Kindern mit ihren unterschiedlichen Lernausgangslagen in allen Schulformen gerecht werden.

Dabei unterscheidet sich die Unterrichtspraxis nicht grundsätzlich vom gewohnten Unterricht, den Lehrkräfte seit vielen Jahren praktizieren.

Im "Gesamtmodell Unterricht" wird bei der inklusiven Planung durch die Lehrkräfte die Balance der unterschiedlichen Unterrichtsformen und -bausteine berücksichtigt. Das heißt für die Gestaltung des Unterrichts:

  1. Individualisierung gewährleisten
  2. Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stellen
  3. unterschiedliche Lernzugänge ermöglichen
  4. ein kompetenzorientiertes Curriculum erstellen
  5. Synergieeffekte durch Teamarbeit gewährleisten
  6. Leistungsnachweise ermöglichen, die entstehen aus unterschiedlichen Lernformen und Ergebnissen
  7. Selektion vermeiden

Reich, K. (2014): Inklusive Didaktik – Bausteine für eine Inklusive Schule.

Inklusiver Unterricht braucht die Kooperation aller in der Schule tätigen Professionen. Die Verantwortung für die Umsetzung von inklusivem Unterricht liegt beim Team. Durch multiprofessionelle Teams und offene Unterrichtsformen können die in der Klasse Tätigen allen Kindern besser gerecht werden, eine größere Leistungsspanne in den Blick nehmen und allen Kindern Lernzuwachs ermöglichen.

Die Umsetzung von Inklusion muss zielgerichtet sein und auf Gelingensbedingungen aufbauen. 2011 startete im Saarland der Pilotversuch „Inklusive Schulen“ an sieben Grundschulen und zunächst vier Gemeinschaftsschulen. Die Schulen machten sich früh auf den Weg, um inklusive Strukturen, Kulturen und Praktiken zu entwickeln und zum schulischen Alltag werden zu lassen. Die Erfahrungen dieser Schulen flossen in die Weiterentwicklung des saarländischen Inklusionskonzeptes ein. Die elf Ursprungsschulen wurden von 2011 bis 2014 durch den Lehrstuhl von Prof. Dr. Robin Stark, der Fachrichtung Bildungswissenschaften der Universität des Saarlandes wissenschaftlich begleitet. Ein Abschlussbericht liegt seit März 2015 vor.

2014/15 waren weitere sieben Pilotschulen hinzugekommen. 2016/17 lief die Pilotphase an den Gemeinschaftsschulen aus. Die Inklusionsverordnung wird seit diesem Zeitpunkt in der Sekundarstufe der weiterführenden allgemein bildenden Schulen aufsteigend, beginnend mit der Klassenstufe 5 umgesetzt. An den ehemaligen Pilotschulen des Gemeinschaftsschulbereiches wurde ein Schulversuch durchgeführt, der es den teilnehmenden Schulen erlaubte, die Regelungen der Inklusionsverordnung nicht zwingend erst aufsteigend ab Klassenstufe 5 anzuwenden, sondern sofort in allen Klassenstufen bis Klasse 13 umzusetzen. Die Erfahrungen aus diesem Schulversuch flossen ebenfalls in die Weiterentwicklung des inklusiven Schulkonzeptes des Saarlandes ein.

Zur Zusammenarbeit von Regelschul- und Förderschullehrkräften im gemeinsamen Unterricht in der Grundschule liegen den Schulen Rundschreiben zur Umsetzung vor.