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4. Folgen

4.1 Internationale Nachverhandlungen und Kleine Wiedervereinigung

Auf internationaler Ebene musste nun ebenfalls nachverhandelt werden, da die ursprünglichen Planungen ein Scheitern der Volksbefragung zur Europäisierung der Saar schlichtweg nicht vorgesehen hatten. Insbesondere von (west-)deutscher Seite wurde der Ausgang des Plebiszits als saarländisches Votum für einen dauerhaften Verbleib bei Deutschland und damit für einen unmittelbaren Beitritt zur Bundesrepublik gewertet. Die neuerlichen Verhandlungen zwischen Frankreich und BRD führten schließlich binnen Jahresfrist zum Vertrag von Luxemburg vom 27. Oktober 1956, der von den Außenministern beider Staaten unterzeichnet wurde. Demnach sollte das Saarland mit Wirkung zum 1. Januar 1957 politisch dem Geltungsbereich des Grundgesetzes und damit der BRD als elftes Bundesland beitreten. Der saarländische Landtag beschloss den Betritt des Saarlandes nach Art. 23 GG, womit verfassungsrechtlich der schließlich auch 1989/90 vollzogene Weg beim Beitritt der DDR vorweg im Kleinen beschritten wurde. Der Vertrag von Luxemburg enthielt auch Bestimmungen zum Kohleabbau im bis dahin noch nicht erschlossenen Warndt, dessen Grube 1963 nach fünfjähriger Bauzeit in Betrieb genommen wurde (2005 geschlossen). Daneben wurde in einem zeitgleich vereinbarten deutsch-französischen Zusatzabkommen der Ausbau der Mosel zwischen Thionville und Koblenz zur Großschifffahrtsstraße beschlossen, um die lothringische Industrie an den Rhein als zentraler europäischer Transportachse anzubinden.

 

 

 

 

Zum politischen Beitritt des Saarlandes zur BRD am 1. Januar 1957 besuchte Bundeskanzler Konrad Adenauer mit einem Sonderzug die saarländische Landeshauptstadt. Im Rahmen eines minutiös durchgetakteten Festtages wurde das Saarland nunmehr feierlich zum elften Bundesland der Bundesrepublik aufgenommen. Neben dem offiziellen Staatsakt gab es auch in der Fläche eine Reihe lokaler Veranstaltungen, in denen der Freude über die Rückkehr nach Deutschland zum Ausdruck gebracht wurde. Gut drei Wochen später beehrte Bundespräsident Theodor Heuss mit seinem Besuch Saarbrücken, am Folgetag hielt er vor tausenden Teilnehmern vielbeachtete Reden auf den Marktplätzen in Neunkirchen und Homburg.

 

 

Das Programm zum Festakt zum Download.

 

Ansprache des saarländischen Ministerpräsidenten Ney im Rahmen des Staatsaktes hier zum Download.

 

Feierliche Rede von Bundeskanzler Adenauer zum Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik Deutschland hier zum Download

 


 

 



 


 

 


 

In wirtschaftlicher Hinsicht sollte der Beitritt jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Aus taktischen Gründen wurde der Zeitpunkt des wirtschaftlichen Beitritts zunächst geheim gehalten und deshalb in der Bevölkerung als „Tag X“ bezeichnet; hierdurch sollten wirtschaftlichen und währungspolitische Verwerfungen vermieden werden. Erst am Morgen des 4. Juli 1959 wurde zeitgleich durch die Regierungen in Bonn, Paris und Saarbrücken der bereits zwei Tage später stattfindende wirtschaftliche Beitritt bekanntgegeben. Mit dem Ende der Wirtschafts- und Währungsunion des Saarlandes mit Frankreich und dem Umtausch des Saarfranken in DM ab dem 6. Juli 1959 wurde das wirtschaftspolitische Übergangsregime beendet und die stufenweise organisierte „Kleine Wiedervereinigung“ erfolgreich abgeschlossen. Für den Währungstausch wurden im ganzen Land rund 500 Umtauschstellen eingerichtet, wo unter dem sprechenden Codenamen „Aktion Mairegen“ 580 Millionen DM bereitgestellt wurden; der Wechselkurs wurde auf 100 Franken zu 0,8507 DM festgelegt. Neben den gut gesicherten Geldtransportern brachten seit der Nacht vom 5. auf den 6. Juli 1957 hunderte LKWs westdeutsche Produkte an die Saar, was zu einem schlagartigen Angebotswechsel in den Geschäften führte.

Feierliche Öffnung eines Schlagbaums an einem Grenzübergang in der Nacht vom 5. auf den 6. Juli 1957. SaarLA_N PressPhA 64_11_bearb
Feierliche Öffnung eines Schlagbaums an einem Grenzübergang in der Nacht vom 5. auf den 6. Juli 1957. (Urheber: Presse Photo Actuelle, Copyright: SaarLA, CC-BY SA) Foto: SaarLA_N PressPhA 64_11_bearb

Der Währungswechsel wirkte sich jedoch auf die Preis- und Lohnentwicklung aus, die von der Bevölkerung als ungerecht empfunden wurde und zu öffentlichen Protesten führte. Darüber hinaus wurde an der Saar mit dem Tag X auch das aus Frankreich seit 1947 übernommene Familienzulagensystem von den bundesdeutschen Sozialgesetzen ersetzt. Für Familien bedeutete dies unterm Strich nicht nur eine höhere Lohnbelastung von durchschnittlich mehr als zehn Prozent, sondern auch den Wegfall liebgewonnener Leistungen. Hiervon betroffen war etwa die im Saarland zuvor übliche pauschale Gewährung von Kindergeld bereits ab dem ersten Kind, was in der BRD erst zwei Jahrzehnte später eingeführt wurde (1975).

 

 

 

 

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